Halle Frieden
Publisher’s Cut

Ein paar Worte vorweg

Da die letzten Seiten des Kapitels 14 von Die Anderen eventuell zu Irritationen unter den mit quantitativ hoher Lebenserfahrung ausgestatteten Lesern führen könnten, haben sich die PR-Abteilung des Verlages und der Autor außergerichtlich und in freundschaftlichstem Einvernehmen auf folgende Verlautbarung geeinigt:

„Es lag niemals in der Absicht des Verlages und des unbedarften Autors, die Gefühle irgendwelcher Rentner oder sonstiger Senioren und ihrer Angehöriger zu verletzen. Sollten versehentlich getätigte Formulierungen des Romans – v. a. des vierzehnten Kapitels – Ihre persönlichen Grenzen des guten Geschmacks überschreiten, so bitten wir Sie vielmals um Entschuldigung. Als Teil der Unterhaltungsindustrie ist uns nicht daran gelegen, irgendwo anzuecken.“

Zudem wird Ihnen hier eine offizielle Alternativversion der umstrittenen Szene als kostenloser Service zur Verfügung gestellt. Lesen Sie also im Folgenden den Publisher’s Cut der Szene „Halle Frieden“ von Seite 195 des Buchs bis Kapitelende.

Was bisher geschah

Eine ganz schöne Menge, ehrlich gesagt.

Das kann man hier gar nicht alles zusammenfassen für diejenigen, die das Buch noch nicht gelesen haben. Aber keine Angst, als erfahrener Fantasyleser kann man sehr rasch in die Handlung eintauchen: Die Helden haben sich alle gefunden und folgen einer Prophezeiung und uraltem Wissen auf der Suche nach einem mächtigen Artefakt, um die Bösen zu besiegen.

Der letzte Hinweis führt sie – verkleidet als greise Elfen, Zwerge und Troll – tief unter die Erde, in die Höhlen unter dem vergnüglichen, von Zwergen geführtem Adventure Land, wo die legendäre Waffe Flammenschlag von Rentnern und ausgemusterten Attraktionen eben jenes Adventure Lands – einschließlich eines leibhaftigen Drachens! – bewacht werden soll.

Publisher’s Cut

Die Anderen
Szene „Halle Frieden“
Vierzehntes Kapitel – zweiter Teil, ab S. 195

Sanft fuhr die Lore auf einen Prellbock auf. Sie waren angekommen. Rechter Hand lag ein brennender See, an dessen felsigem Ufer sie im Flammenschein die Knochen eines Drachens erkennen konnten.

„Dieses Problem wäre also ausgeräumt“, frohlockten die Elfen und Dungdill und Juan. Nur Inwutsch stieg missmutig in seinen Rollstuhl. Es wäre ja schließlich auch sein Drache gewesen, er fühlte sich um einen Kampf gebracht.

Sie ließen ihn rechts liegen, den Drachen, und folgten einem erleuchteten Pfad, der zu einer gigantischen unterirdischen Halle führte. Volkstümliche Weisen klangen ihnen entgegen, als sie den Schildern zur Halle Frieden folgten.

Auf ihre knotigen Krückstöcke gestützt hinkten Dungdill und die beiden Elfen voran, der tief gebeugte Juan schob Inwutsch im Rollstuhl hinterher. Mit jedem Schritt wurde die schunkelnde Musik lauter, vereinzelt mischten sich freundliche Rufe und lautes Lachen darunter: „Prosit! Wohl bekomm’s!“ – „Auf euch!“ – „Auf den Weltfrieden!“

Schließlich betraten sie die gigantische unterirdische Halle, die fünfhundert Schritt in der Länge messen musste, und beinahe ebenso viele in der Breite. Ganz am anderen Ende befand sich der Personalraum, in welchem die Pflegekräfte den Flammenschlag aufbewahrten. So weit es aus der Entfernung zu erkennen war – und für Elfenaugen war es das -, war die Tür zum Personalraum geschlossen. An ihr hingen zahlreiche herzförmige Zettelchen und auf dem Boden vor ihr standen Horden von niedlichen bunten Vasen mit frischen Blumen.

In der Halle verteilt saßen vor allem zahlreiche würdevoll ergraute Zwerge, dazwischen ein paar faltenreiche, freundlich lachende Missgebildete unterschiedlicher humanoider Völker, die wohl in der Mutantenbahn gearbeitet hatten, und beschädigte, angerostete oder zerkratzte Golems, aufziehbare Statuen oder andere Konstrukte, die einst zahlreiche Kinderherzen zu Freudesprüngen verholfen haben mussten. Die Zwerge saßen in eleganten Festtagsanzügen und dezenten Kostümen um Tische mit blütenweißen Tischdecken und spielten zum puren Vergnügen Bingo oder lösten Kreuzworträtsel für wohltätige Zwecke. Die Älteren und Weiseren ließen dabei die Jüngeren großzügig an ihrem reichhaltigen Erfahrungsschatz teilhaben.

Gleich neben dem Eingang hingen goldgerahmte Bilder von jungen Männern und Frauen an der Wand. Die Farben der Bilder waren von vielen Küssen und Tränen der Rührung verwischt. Über den Bildern hatte jemand mit schwungvollen bunten Buchstaben an die Wand geschrieben: „Enkelkind des Monats.“

Ein Stück weiter in der Halle verkündete ein schwarzes Brett, welcher Rentner welchen Teil seines Vermögens einem Waisenhaus, Tempel oder Armenhaus vermacht hatte.

„Vielleicht hätten wir uns doch als verschollene Enkel verkleiden sollen“, murmelte Fahrdahin.

„Oh, ja. Oder als Vertreter einer bedürftigen Religion“, stimmte Dungdill zu. „Aber lasst uns gehen. Wenn wir noch lange dumm glotzen, fallen wir nur auf.“

„Meine! Alles meine!“, knirschte Inwutsch, ohne dabei sein breites Lächeln abzulegen.

Die Gefährten rollten und hinkten langsam durch die Halle. Immer wieder wurden sie neugierig und freundlich beäugt, doch noch hielt sie niemand auf. Sie sahen eine Alte, die mit liebevoller Sorgfalt die dreiundzwanzig Schleifchen im Fell ihrer rassigen Hundedame neu und ganz penibel band, und eine junge hübsche Krankenschwester – selbstredend eine üppige Elfe in natürlich viel zu enger Uniform, und die obersten Knöpfe sind natürlich auch abgesprungen -, die von stattlichen alten Zwergen umringt war. Ein jeder der Greise tätschelte ihr die Hand, lächelte ihr ins Gesicht und kämpfte um ihre Aufmerksamkeit.

„Lass mich erst ausreden, Kollege“, beharrte einer mit traditionell geflochtenem Bart gegenüber einem zittrigen Alten mit roten Flecken im Gesicht. „Ich bin mit der Geschichte, wie ich dereinst meine selige Frau Gemahlin kennenlernte, noch lange nicht am Ende angelangt.“ Und dann wandte er sich wieder der sichtlich erschöpften Krankenschwester zu und fuhr mit sanfter Stimme fort: „Wie ich bereits sagte, Ihr erinnert mich stark an meine Frau …“

„Erinnert dich an deine Frau …?“, knirschte Inwutsch leise und krallte seine Finger in die Rollstuhllehnen. „Sie ist eine Elfe, keine Zwergin, du Krötenhirn …“

Zum Glück verstand der Alte ihn nicht. Nirgendwo war weiteres Pflegepersonal zu sehen, das sich um die Alten kümmerte. Oder um ihre mit antikem Charme umlagerte Kollegin. Wahrscheinlich hatte keiner der Rentner in den letzten Wochen irgendein Medikament bekommen. Und doch strahlte die riesige Halle vor Sauberkeit und Freundlichkeit, auf all den lebenserfahrenen Gesichtern lag das zufriedene Lächeln derjenigen, die mit sich selbst im Reinen waren.

Auf allen Tischen standen duftender Kaffee und frisch gebackener Kuchen und in allen Ecken spielten niedliche, frisch gekämmte Hündchen mit Schleifchen im Fellchen. Die alten Hände, die Jahrhunderte lang schwer geschuftet hatten, wollten nun nichts weiter tun als Gutes. Und sie schenkten reihum Kaffee in kleine Tässchen und streichelten jeden Hund in ihrer Nähe und die wenigen Golems und aufziehbaren Statuen, die Kindern und knuddeligen Tierchen nachempfunden waren.

Fünfzig Schritt weiter sahen sie einen zahnlosen Alten mit zahlreichen Orden, der beharrlich eine künstliche Katze streichelte, deren Rücken schon bis zum Stahlgerüst hinab abgeschabt war: „Daff wird fonn wieder. Geine Angft, alleff wird guhd.“

Ein paar Schritt weiter wurde ein Pfleger von sieben Zwerginnen gefüttert. Der ständig wachsende Bauch hatte bereits Hose und Hemd gesprengt, er lümmelte schicksalsergeben auf einem bedrohlich knirschenden Stuhl und hatte den sahneverkrusteten Mund halb geöffnet.

„Noch einen Happen für Tante Rosalin“, giggelte eine Alte.

„Damit du groß und stark wirst“, fügte eine andere hinzu und balancierte ein ordentliches Stück Torte auf einer kleinen glänzenden Silbergabel in seinen Mund.

„Die sind doch komplett wahnsinnig hier“, flüsterte der rebellische Nur’a’mann.

Der edle Fahrdahin musste sich zusammenreißen, um sich angesichts solch ungesunder Ernährung nicht zu übergeben.

Sie passierten eine Senioren-Bastelgruppe, die asymmetrische Strohsterne flocht, und näherten sich langsam, jedoch beständig, der beherzten Tür zum Personalraum. Immer mehr Blicke taxierten sie. Und dann, als sie noch dreißig Schritt von ihrem Ziel entfernt waren, rief eine blinde Alte mit begeisterter, sich überschlagender Stimme: „Neuankömmlinge! Ich rieche Neuankömmlinge!“

Und hunderte Köpfe mit weisen, liebevollen Augen drehten sich ihnen zu. „Seid willkommen!“ „Erzählt uns von euch.“ „Wollt ihr Kuchen?“ Viele Dutzend Gabeln wurden mit großen, süßen, cremigen Portionen gefüllt und in ihre Richtung gereckt.

„Lauft!“, schrie Dungdill. Und sie sprinteten los, schlugen mit den Krückstöcken die gefüllten Gabeln aus zittrigen Händen. Inwutsch sprang aus dem Rollstuhl und schleuderte ihn nach einem der zahlreichen Kuchenbüffets. Der Stuhl zermatschte eine fünfstöckige Torte zu einer platinenen Hochzeit. Sahne klatschte schmatzend gegen die geblümte Tapete. Immer mehr Rentner strömten auf sie zu, Gebäck wurde eilig auf schnuckligen, quietschenden Wägelchen herbeigekarrt. Die alles verschlingende Rentnerschwemme schwappte auf sie zu. Nach Beschäftigung zehrende Alte umringten sie und gierten danach, Gutes zu tun.

„Ihr Armen habt sicher Hunger!“

„Ganz abgemagert seid ihr!“, entsetzte sich eine Alte und zeigte auf die beiden Elfen.

„Was immer ihr vorhabt, hört euch meinen Rat an“, drängten Stimmen aus den hinteren Reihen.

„Ich habe Diabetes!“, rief der belesene Dungdill.

Doch außer ihm hatte damals noch nie einer von einer solchen Krankheit gehört, und so schrien die Alten nur: „Und wir haben Kaffee und Kuchen!“

Inwutsch kämpfte wie ein Berserker, er stieß die Alten um, schubste seine Kameraden immer weiter voran und brüllte: „Weiter! Immer weiter!“

Immer mehr mit Kaffee, Kuchen und irgendwelchen selbst gebastelten Geschenken bewaffnete Rentner und Ausgemusterte rückten heran, und trotz aller Tapferkeit und kämpferischem Geschick schien das Ende der noch so furchtbar jungen Gefährten gekommen.

Knietief wateten sie bereits durch abgewehrtes, kaffeegetränktes Gebäck, aber irgendwann würde die süße Pampe zu hoch stehen und ihr Vorankommen gänzlich verhindern.

So nah vor ihrem Ziel!

Da öffnete sich der Personalraum und weiß bekittelte Arme langten heraus und zogen die Gefährten in Sicherheit. Schnell wurde die Tür wieder zugeschlagen und verbarrikadiert.

„Danke“, seufzte Dungdill und blickte sich um. Sie standen in einem völlig weißen Raum. Wände, Boden, Decke, Möbel, alles weiß. Und ein jeder, der sich in dem Raum befand, trug einen weißen Kittel.

„Keine Ursache“, sagte die schöne strenge elfische Oberschwester. „Wir haben uns lange genug vor den Alten versteckt. Aber als uns die Beruhigungsmittel ausgegangen sind, wussten wir nicht mehr, was wir tun sollten. Wenn sie nicht vor sich hindämmern, sind sie für uns nicht zu schaffen. Sie sprengen mit ihrer Gier nach Gesprächen die Dienstpläne! Stürzen die Ordnung und verbreiten Kuchen und Chaos!“ Erregt bebten ihre Brüste, dann beruhigte sie sich wieder. „Nun ja, aber euch zu helfen, war unsere Pflicht.“

Die anderen scharfen Schwestern und geilen Pfleger nickten. Die aufgebrachten Alten hämmerten gegen die Tür und priesen ihre Torten, Ratschläge und den Kaffee.

„Ich weiß nicht, wie lange die Tür noch standhält“, befürchtete die Oberschwester. „Also sagt rasch, wie können wir euch helfen?“

„Wir suchen den Flammenschlag!“, platzte Inwutsch heraus.

„Oh!“, heuchelte die Oberschwester Überraschung, so wie es ihr Arbeitsvertrag mit Adventure Land vorschrieb. „Kommt mit! Ich führe euch zu ihm.“ Und mit einem heilenden Hüftschwung, der alle schlimmen Gedanken an das eben Erlebte vertrieb, schritt sie ihnen voraus in den Nachbarraum, der ebenfalls in reinstem Weiß gehalten war.

Und auf einem weißen Samtkissen auf einem weißen Podest lag der ersehnte Flammenschlag.

Die Oberschwester nahm den Flammenschlag, einen Kriegshammer, dessen Kopf aus einer klaren weißen Flamme bestand, die in Quaderform vor sich hin loderte, vom Podest und überreichte ihn Dungdill. Küsschen rechts, Küsschen links.

„Du Streiter für das Gute. Nimm hin, dies ist der Flammenschlag. Sein Feuer ist kalt und schadet weder dir noch deiner Welt. Doch sollte er gegen einen Anderen geschwungen werden, so wird er diesen mit unsäglicher Hitze verzehren und selbst seine Seele zu weißer Asche im Wind versengen.“

„Ähm, danke“, murmelte Dungdill, der keine Dankesrede einstudiert hatte und als schüchterne Jungfrau noch ganz verlegen war wegen der beiden Küsschen.

„Und jetzt flieht! Flieht, ihr Narren!“, dramatisierte die Oberschwester. „Flieht, bevor die Kuchen verteilenden Alten hier eindringen!“

„Aber wie?“

„Durch diesen Kamin.“ Und die Oberschwester zeigte auf einen Kamin hinter weißen Vorhängen, den zwei anmutige Pfleger eben enthüllten, und in dem zufällig eine Wendeltreppe nach oben verlief.

„Wie können wir euch je danken, holde Schwester der Hilfsbedürftigen?“, erinnerte sich Fahrdahin an die hohe Kunst der höflichen Worte.

„Indem ihr diese Anderen besiegt.“

„Das werden wir“, versprach Nur’a’mann mit dem gewichtigsten Ernst aus seinem tiefsten Inneren.

Und die Gefährten der Sternale sprangen auf die Wendeltreppe – Dungdill stieß sich dabei den Kopf – und machten sich daran, zurück an die Oberfläche zu eilen.

Da richtete die Oberschwester noch einmal das Wort an sie, drückte Dungdill ein paar kleine Zettel in die Hand und sagte: „Fast hätte ich’s vergessen. Wenn ihr oben seid, wendet euch nach links. Nach ein paar Meilen kommt ein Wirtshaus mit Stall. Dorthin hat man inzwischen eure Pferde gebracht. Und für die Gutscheine in deiner Hand, Flammenschlagträger, bekommt ihr dreißig Prozent Rabatt auf das sehr zu empfehlende Menü Siegerbankett.“